Philosophie
Vollgeld: Geldschöpfung - Thema oder nicht?
Ist die Geldschöpfung durch die Banken nun ein wesentliches Problem, oder gar der zentrale “Baufehler im System“, oder nicht? Kürzlich haben Benes und Kumhof -zwei Ökonomen vom IMF- zu einigen der schwierigsten Fragen ein spannendes Paper “The Chicago Plan Revisited[1]“ veröffentlicht und die alte Diskussion aus den 30er Jahren belebt. Auch der ehemalige Chefökonom der Deutschen Bank Thomas Mayer fordert[2] eine Veränderung des Geldsystems. Die Beiden IWF-Ökonomen plädieren in diesem lesenswerten und intensiv diskutierten Paper[3], für eine grundsätzliche Systemänderung hin zum “100%-Reserve-System“, aber dazu später. Der folgende Artikel hat drei Teile:
- Zusammenfassung zum Mechanismus der Geldschöpfung - Grundlage
- Eine kurze Übersicht zu den beiden Lösungsalternativen
- Übersicht zu den Argumenten
Im Anschluss würden sich Diskussionen zu den einzelnen Argumenten (stimmig oder nicht) und den potentiellen Auswirkungen einer Änderung auf die Menschen und den Bankenmarkt anbieten. Spannend wäre auch eine grundlegende Diskussion zur Frage, ob es sich hier um ein verkürtzte buchhalterische Diskussion aus der Perspektive der Bankbilanz handelt oder ob es sich auch um ein real ökonomisches Phänomen handelt. Der Artikel ist umfangreicher wie geplant, aber das Thema ist komplex und wir sollten daher auch die Diskussion in einzelne Punkte zerlegen.
A. Was ist Giralgeldschöpfung[4]? Geldschöpfung = Schaffung von Geld und das geschieht entweder durch die Zentralbanken (1) oder durch die Geschäftsbanken (2). Eine schrittweisere und genaue Erklärung findet sich in der Broschüre der Deutschen Bundesbank[5] auf deren Grundlage auch diese Zusammenfassung entstanden ist.
- Die Zentralbankgeldschöpfung ist simpel. Nur die Zentralbanken können Banknoten und Münzen in Umlauf bringen. Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten. (a) Die Geschäftsbank nimmt bei der Zentralbank einen Kredit auf und bekommt dafür Bargeld Die Kreditgewährung entspricht der Buchung einer Sichteinlage (Verbindlichkeit, Passiv) bei der Bank und einem Cash-Eingang auf der Aktivseite der Bank. Die Zentralbank bucht eine Forderung und eine Sichteinlage[6]. Die Abholung des Bargelds durch die Geschäftsbank reduziert die Sichteinlage der Geschäftsbank bei der Zentralbank. (b) Die Zentralbank kann einer Bank auch Vermögenswerte abkaufen um diesen zu Bargeld zu verhelfen. Der Gewinn der Zentralbanken entsteht nicht durch das Drucken des Geldes sondern durch die Zinsen auf die vergebenen Kredite und die Margen bei Vermögensankäufen.
- Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken. Die Geldschöpfung der Geschäftsbanken funktioniert analog. (a) Bei einer Kreditgewährung an einen Kunden verbucht die Bank den Kredit als Forderung und gleichzeitig eine Sichteinlage in der gleichen Höhe. Durch die Auszahlung des Kredits vermindert sich die Sichteinlage. Aber da das Geld wieder bei irgendeiner Bank auf dem Konto landet, kann hier vereinfacht das Beispiel von nur einer Bank im System genommen werden. Dann entsteht bei der Auszahlung des Kreditbetrags nur eine Umbuchung auf die Sichteinlage eines anderen Kunden. Die Einlage entsteht (buchhalterisch) makroökonomisch durch die Kreditvergabe, sowei ist das Argument der Kritiker des jetztigen Systems war. Später würde ich aber noch gerne diskutieren, ob das nicht zu kurz gegriffen ist. Entsteht die Einlage und der Kredit nicht, weil zuerst realwirtschaftlich ein Gut produziert wird und die Transaktion buchhalterisch abgebildet wird? (b) Bei der zweiten Option zur Geldschöpfung, dem Kauf eines Vermögens durch den Kunden laufen die Buchungen wie bei der Zentralbank (1,b). In beiden Fällen entsteht eine Bilanzverlängerung. Gesteuert wird die Menge der Geldschöpfung durch die Banken mittels der Mindestreserve und die Eigenkapitalbestimmungen (Basel II).Die Mindestreserve wird für jede Geschäftsbank aus der Höhe bestimmter Sicht-, Termin- und Spareinlagen, die Nichtbanken bei ihr auf Konten unterhalten. Bei drei Prozent, sind das bei Einlagen von 10 Millionen Euro, 300 TSD. EUR – und zwar in Zentralbankgeld. Um das Zentralbankgeld zu erhalten sind die Geschäftsbanken auf Kredite der Zentralbank oder verkaufbare Vermögenswerte angewiesen. Diese Kredite gibt es nur über Sicherheiten. Gesteuert wird als über die Mindestreserve und die Definition der erlaubten Sicherheiten. Zusätzlich gelten die “Basler Regelungen“, die das Kreditvolumen vom Eigenkapital abhängig machen.
B. In der Diskussion um mögliche Alternativen wird grob zwischen zwei Alternativen unterschieden. (1) Vollgeld oder (2) 100%-Reserve-System. Unter dem Sammelbegriff “100% Reserve System“ finden sich einige Ausgestaltungsoptionen, wie der Chicago Plan (1930er), bei denen es letztlich darum geht, dass die Mindestreserve auf 100% der Einlagen angehoben wird und somit das Geldschöpfungs-monopol beim Staat liegt. Auf der Kreditseite und die Rolle der Banken sowie deren Refinanzierungs-möglichkeiten gab und gibt es verschiedenen Optionen, die für die wirkliche Ausgestaltung essentiell sind, aber den Rahmen des ersten Artikels dazu sprengen würden. Auch die spannende und im Kern wesentlichste Frage der Transformation-(möglichkeit) in ein neues System lasse ich aus. Die zweite diskutierte Alternative ist das “Vollgeld“. Beim Vollgeld werden nicht zwei verschiedene Geldkreisläufe (Zentralbank-Bank und Bank-Kunden) geschaffen, sondern die Sichteinlagen werden von den Banken direkt zur Zentralbank verschoben und die Termineinlagen werden illiquide nicht transferierbare Schulden der Banken. Alle Zahlungen werden ausschließlich mittels Zentralbankgeld durchgeführt. Viele Details zu den weiteren Unterschieden finden sich bei Andrew Jackson[7].
C. Die Argumente gegen das bestehende System oder für eine der Alternativen lassen folgendermaßen zusammenfassen.
- Verstärkt die Wirtschafszyklen. In Boom Zeiten wird mehr Kredit vergeben und bei rückläufiger Konjunktur weniger. Dieser Effekt wird verstärkt, wenn die Banken in Aufwärtszyklen Ihre eigenen Kreditmittel schaffen können.[8]
- Stabilität im Bankensektor[9]. Die Möglichkeit von Bankenruns und die notwendige Einlagensicherung sind nur ein Thema bzw. Notwendigkeit, weil eben nicht jede Einlage 1:1 durch Zentralbankgeld abgesichert ist.
- Niedrige Verschuldung wäre möglich (Lösung der Staatsschuldenkrise) [10]
- Die Staaten machen sich bei der Finanzierung das Leben unnötig schwer. (a) In einem 100% Reserve System, müssten die Banken für Ihre Kredite Reserven erwerben und das Nettovermögen der Staaten würde steigen (Reserven sind eine Equity Position des Staats). (b) Aus den Gewinnen des Staats könnten die Schulden des Privatsektors gesenkt werden.
- Inflationsverursachend[11]: Bei einer Trennung der Geld und der Kreditfunktion könnte die wachstumsorientiere Inflation durch die Nationalbank auf 0% ausgesteuert werden. Die Geldmenge könnte direkt gesteuert werden, da es keine Abhängigkeit der Geldpolitik von der Kreditvergabe gibt und negativ Zinsen leicht implementierbar sind.
- Höheres Kreditvolumen. Aus dem Anreiz und der Möglichkeit mehr Kredite zu vergeben entstehen mehr Kredite und dadurch: (a) Instabilität im System (höherer Leverage) und (b) Mehr Zinszahlungen für Alle und das führt zu Umverteilungseffekten zu den Reichsten und (c) Wachstumszwang mit den Folgen für die Umwelt etc..
- Wettbewerbsverzerrung. (a) Da die Banken einen “leichten“ Gewinn durch die Geldschöpfung machen können. (b) Da es zu Wettbewerbsvorteilen gegenüber Nichtbanken beim Kauf von Aktiva kommt. (z.B. Immobilien)[12]
So, dass war jetzt der Versuch das umfangreiche Thema auf zwei Seiten so zusammenzufassen, damit der Raum für die Diskussion aufgespannt wird. Bin gespannt. Die Diskussion der grundsätzlichen Frage, ob diese buchhalterische Perspektive die Relevante ist, der Vor-und Nachteile (stimmig) oder die möglichen Auswirkungen auf das Bankenwesen würde sich anbieten. Es schwingt letztlich auch die Frage mit, ob hier eine reine Staatslösung einer Marktlösung vorzuziehen ist. Mich würde auch interessieren, ob sich einige der Probleme nicht mit einer einfacheren Lösung in den Griff bekommen lassen.
[1]Jaromir Benes and Michael Kumhof, The Chicago Plan Revisited .Febr.11/2013, IWF Working Paper: www.imf.org/external/pubs/ft/wp/.../wp12202.pdf
[2]Thomas Mayer, 24. Juni 2013, Banish Fractional Reserve Banking for a real reform, Financial Times
[4]Häufig spricht man auch von Buchgeld, weil es nur in den Büchern der Banken erscheint. Im Unterschied zu Banknoten und Münzen ist das Buchgeld kein gesetzliches Zahlungsmittel. Dennoch wird es im Wirtschaftsleben allgemein akzeptiert. Dies beruht insbesondere darauf, dass das Buchgeld jederzeit wieder in Bargeld umgewandelt werden kann. Umkehrt wird Bargeld zu Buchgeld, wenn es auf ein Konto eingezahlt wird
[6]Die Sichteinlagen der Geschäftsbanken auf den Konten bei der Zentralbank sind gemeinsam mit dem Bargeld das Zentralbankgeld.
[7]https://sovereignmoney.squarespace.com/s/The-Chicago-Plan-versus-PM-Proposals-2013.pdf
[8]Siehe IMF Seite 53 ff.
[9]Siehe IMF Seite 5
[10]Siehe IMF Seite 6
[11]Siehe IMF Seite 8
Kommentare
Liebe Ralf,
lieber Max!
Endlich komme ich nach mgeadichten Monaten dazu, mich in die Diskussion einzuklinken. Als Ausgleich für mein langes Fernbleiben werde ich nicht nur etwas ausführlicher schreiben, sondern vor allem die InitiatorInnen der Vollgeld-Reform und der aktuellen Volksinitiative in der Schweiz zur weiteren Diskussion auf diesem Blog einladen.
Meinen (ersten) Beitrag möchte ich wie folgt gliedern:
1. Sachliche Anmerkungen zur Analyse
2. Allgemeine Bemerkungen zur bisherigen Diskussion
3. Behandlung einzelner Diskussionspunkte
4. Zusätzliche Argumente zur Vollgeld-Reform
1. Sachliche Anmerkungen zur Analyse:
- Bei den Varianten a) und b) der Zentralbankgeldschöpfung vermisse ich c) Buchgeldschöpfung durch die Zentralbank. Meinem Verständnis nach sind sowohl Mindest- und Überschussreserve als auch die Marktinterventionen wie die „Dicke Berta“ Buchgeldschöpfungen durch die Zentralbank.
- „Entsteht die Einlage und der Kredit nicht, weil zuerst realwirtschaftlich ein Gut produziert wird und die Transaktion buchhalterisch abgebildet wird?“
An dieser Stelle (Ralfs Aufschlag) vermisse ich die Option der Kreditvergabe zum Zweck der Spekulation. Später beim Beispiel Max-Fritz-Ralf sehe ich den „realwirtschaftlichen“ Vorgang nicht, das Beispiel ist für mich ein klassischer Kreditvergabevorgang, der auch buchhalterisch abgebildet wird. Außer, es ist gemeint, dass vor der Eurowanderung zwischen den Dreien Güter gewandert oder Leistungen geflossen sind – was ich vermute. Dann bleibt nur mein erster Einwand, dass Krediten, die Spekulationszwecken dienen, keine realwirtschaftlichen Leistungen vorausgehen.
- „Bei der zweiten Option zur Geldschöpfung, dem Kauf eines Vermögens durch den Kunden laufen die Buchungen wie bei der Zentralbank (1,b).“
Soweit ich verstanden habe, geht es um den Ankauf von Vermögenswerten durch die Bank, nicht durch die KundIn. Die Bank erwirbt einen Vermögenswert, den sie auf der Aktivseite in die Bilanz nimmt, und schreibt auf der Passivseite der VerkäuferIn ein entsprechendes Sichtguthaben gut: Die Bilanz ist verlängert, die Geldmenge erhöht.
- „Dies beruht insbesondere darauf, dass das Buchgeld jederzeit wieder in Bargeld umgewandelt werden kann.“
Nur in Stabilitätszeiten. Beim Bankrun oder bei Insolvenz geht das nicht.
- „Ein Kredit ohne gleichzeitiger Geldschöpfung ist theoretisch garnicht möglich.“
Ich meine schon, das landläufige Bild der Tätigkeit einer Bank entspricht einer geldschöpfungsfreien Kreditvergabe: Die Bank vergibt einen Kredit in Form von Bargeld an eine KundIn: Auf der Aktivseite findet ein Aktivtausch/eine Umbuchung von Kassabestand in Kreditforderung statt, auf der Passivseite tut sich gar nichts: keine Bilanzverlängerung und keine Geldschöpfung. Weil der Kredit direkt aus der Kassa ausbezahlt wird (klassisches Bild der Bank/des Goldschmieds). Nur wenn der Kredit zuerst als Sichtguthaben verbucht wird, verlängert sich die Bilanz (zusätzliche Forderung auf Aktivseite, zusätziches Sichtguthaben auf Passivseite) bis zur Auszahlung. Nach der Auszahlung in bar ist die Bilanz wieder verkürzt. Im Unterschied zur unbaren Kreditvergabe: Das unbare Girokontoguthaben landet auch bei Verwendung sofort wieder auf einem anderen Girokonto (wie von Ralf beschrieben). Die Bilanz wird im System verlängert. Deshalb spricht mensch auch von „Giralgeldschöpfung“.
2. Allgemeine Bemerkungen zur bisherigen Diskussion
Soweit ich die vorgebrachten Argumente erfasst habe, beziehen sie sich allesamt auf 100% money und nicht auf die Vollgeld-Reform. Das erschwert die weitere Diskussion, weil sich beide Ansätze doch in wesentlichen Punkten unterscheiden. Zum Beispiel ist beim Vollgeld die Insolvenz von Geschäftsbanken nicht nur unverändert möglich, sondern sogar erwünscht (da heute bei den Systemrelevanten nicht oder nur teilweise der Fall). Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Ansätzen besteht darin, dass es bei 100% money keine Bankruns mehr gäbe. Bei Vollgeld sind Bankruns sehr wohl denkbar, weil geschützt wären nur die heutigen Girokontoguthaben, nicht jedoch Sparguthaben.
3. Einzelne Debattenaspekte
a) Markt vs. Staat?
Dass 100% Reserve bedeutet, dass das Insolvenzrisiko auf den Staat übergeht, kann ich nicht bestätigen. Meine Intuition sagt mir, dass, wenn das tatsächlichso wäre, dies das zentrale Argument gegen die Reform wäre: Kreditsozialismus. Mein (geringes) Verständnis von 100% money: Der Staat schützt nur die Bankeinlagen, aber nicht die Bank. Ich habe außerdem noch gar nicht verstanden, wie eine 100%-ige Mindestreserve für Banken leistbar wäre, müssten sie nicht ihre Kredite bei der Zentralbank in diesem Umfang besichern? Liefe das nicht auf volle Eigenkapital-Deckung der Einlagen hinaus – über den Umweg besicherter Zentralbankkredite?
Jedenfalls wäre ich strikt gegen jede Reform, durch die das gesamte Kreditrisiko an den Staat/die Allgemeinheit überginge. Bei der Vollgeld-Reform weiß ich sicher, dass es nicht so ist – die Insolvenzoption für Banken ist vollständig gegeben – und nur deshalb unterstütze ich sie. Die Vollsozialisierung des Kreditrisikos wäre ein K.O.-Kriterium für eine Geldreform.
Von daher handelt es sich, zumindest was die Vollgeld-Variante betrifft, auch nicht um eine Frage „Staat oder Markt“ im hier bisher diskutierten Sinne. Sehr wohl handelt es sich um eine Trennung der Geldversorgung (Staat, zentral) und Kreditversorgung (Markt, dezentral). Das ist allerdings beim Bargeld heute auch schon so, ohne dass dies als „zentralistisch“ oder „etatistisch“ angesehen würde. Im Gegenteil: es wird als selbstverständlicher Teil einer liberalen Infrastruktur angesehen: Der Staat stellt den MarktteilnehmerInnen eine unverzichtbare Infrastruktur – (Voll-)Geld – zur Verfügung, damit diese gleichen Gebrauch davon machen können und nicht von mächtigen privaten GeldausgeberInnen abhängig werden. Das Schmiermittel „Geld“ schmiert am freiesten, wenn es vom Staat zu gleichen Bedingungen für alle zur Verfügung gestellt wird.
Die Kreditvergabe kann (überwiegend) Sache des Marktes bleiben/werden, allerdings im Rahmen strenger staatlicher Regulierung, dazu später mehr.
b) zentral vs. Dezentral
In diesem Sinne sagt die Vollgeld-Reform per se nichts über Skalierung des Bankensektors aus, Vollgeld ist mit einem dezentralen Netz von Genossenschaften und Sparkassen genauso möglich wie mit systemrelevanten Universal- und Investmentbanken. Ich plädiere a) aus Gründen der Stabilität und Resilienz sowie b) der Verhinderung von Machtkonzentration wie Ralf für ein dezentrales, diverses Bankensystem.
4. Einige zusätzliche Argumente
Nach einigen Diskussionen mit ÖkonomInnen vermeine ich den Hauptwiderstand gegen die Vollgeld-Reform verstanden zu haben: Die Vollgeld-Reform verspricht eine Reihe von Vorteilen, doch das Hauptversprechen – höhere Stabilität durch einen antizyklischen Effekt auf die Kreditvergabe durch Banken – wird von KritikerInnen angezweifelt. Dadurch geraten alle anderen – unwidersprochenen – Vorteile in den Hintergrund. Und die Reform hat insgesamt einen schweren Stand. Sehen wir uns die wichtigsten Pro-Argumente noch einmal an:
a) Höhere systemische und damit konjunkturelle Stabilität
Dieser (Haupt-)Vorteil ist umstritten, auch wenn er durch die IWF-Studie bestätigt wurde. Eine Grundannahme der ReformerInnen ist, dass durch die Möglichkeit des Kreditsektors, nicht nur Kredite zu vergeben, sondern auch den Rohstoff dafür selbst zur Verfügung zu stellen (Kredit- oder Giralgeldschöpfung) und unbegrenzt zu vermehren, zwei positive Rückkoppelungen auslöst: 1. Im Boom werden mehr Kredite nachgefragt, sowohl realwirtschaftliche als auch vor allem Finanzkredite. Zugleich ist die Bonität aller KreditnehmerInnen in der Konjunktur besser, was die Kredite verbilligt. Drittens ist die Risikobereitschaft im Boom höher, was die Nachfrage weiter erhöht. Auf diese Weise verstärken Banken, wenn sie jede Nachfrage decken (oder sogar zusätzlich wecken) das Aufblähen der Finanzblase. Die Geldmenge steigt im Boom schneller als das BIP. 2. Die Banken beteiligen sich auch selbst am Wertpapierkauf und -handel, indem sie mit (selbst geschaffenem) Buchgeld Wertpapiere aufkaufen. Sobald deren Rendite oder Wiederverkaufserlös höher ist, als die Sichteinlage kostet, rentiert sich die Verstärkung der Spekulation durch die Banken. Nach der Vollgeld-Reform können Banken dies nicht mehr, weil sie Wertpapiere nur mit Vollgeld, das bereits auf ihrer Aktivbilanzseite ist, kaufen können, aber nicht mit einem Sichtguthaben, mit einer Schuld. Dadurch eintfällt ein Beitrag der Banken zur Blasenbildung und Geldmengenerhöhung: das Hauptversprechen der Vollgeld-Reform ist wenigstens teilweise zutreffend.
Teil eins des Hauptversprechens ist hingegen umstritten. Denn der spekulations- und inflationsdämpfende Effekt einer Vollgeldreform über die Steuerung der Geldmenge kann nur in zwei Fällen eintreten: erstens wenn der Rohstoff Geld im Boom entweder teurer wird oder unverfügbar. Unverfügbar hieße „Kreditklemme“, weil der Bankensektor kein Vollgeld für alle Kreditnachfragen zur Verfügung hätte. Die Vollgeld-ReformerInnen „entkräften“ diesen Einwand, indem sie sagen, dass die Zentralbank gleich wie heute die Banken mit zusätzlichen Vollgeld-Krediten versorgen könnten, um eine etwaige Kreditklemme zu verindern. Hier, im Falle einer boominduzierten Knappheit des Geldangebots, hätte sie jedoch die Möglichkeit, die Zinsen für zusätzliches Geld zu erhöhen, um gegenzusteuern und den Boom abzukühlen. Offen ist für mich, wie sich nach einer Vollgeld-Reform Kredit- und Sparzinsen entwickeln würden, wie Nachfrage nach Krediten und Angebot von Spareinlagen über die Marktzinsen koordiniert würden. Eine Sichtweise ist, dass Kredit- und Sparzinsen steigen würden, wenn im Boom die Kreditnachfrage steigt; eine andere, dass durch die ausgelöste massige Umschichtung von unverzinsten Spareinlagen auf Geldkonten (außerhalb der Bankbilanz) auf verzinste Sparanlagen (in der Bilanz) die Sparz- und Kreditzinsen fallen würden. Die Entwicklung des Marktzinsniveaus und damit zusammenhängend die Plausibilität des Versprechens einer antizyklischen Wirkung der Vollgeld-Reform auf die Kreditvergabe im Boom ist somit nach meinem derzeitigen Verständnis unsicher. Weitere Diskussion bzw. Modell-Simulationen hierzu würden mich interessieren.
Mein persönlicher Einwand gegen die mit einer Vollgeld-Reform verbundenen Hoffnungen ist, dass, selbst wenn der Effekt steigender Zinsen einträte, dies in einem Universalbankensystem für alle Kredite gelten würde, auch für realwirtschaftliche Investitionen. Das wäre nicht sinnvoll. Eine mögliche Differenzierung könnte durch ein Trennbankensystem erreicht werden: Die Zentralbank verteuert die Refinanzierung für Investmentbanken oder lässt sogar eine Kreditklemme bewusst zu (dazu dürfte es keine systemrelevanten Investmentbanken geben), während sie Retail-Banken weiterhin günstig refinanziert.
Für noch effektiver halte ich jedoch eine klarere Regulierung der Kreditvergabe: ein völliges Verbot für Finanzkredite (zum Kauf von Wertpapieren) sowie die relative Vergünstigung nachhaltiger und ethischer Kredite. Müsste ich mich entscheiden zwischen einer Vollgeld-Reform und einer direkten Kreditregulierung, würde ich für zweitere plädieren.
Da aber die Vollgeld-Reform weitere, weit weniger diskutierte Vorteile bietet, unterstütze ich sie neben meinem Eintreten für eine klarere Kreditregulierung und unabhängig vom Versprechen der Stabilisierung des Geldsystems und der Verhütung von Wirtschaftskrisen.
b) Antizyklische Geldpolitik in der Rezession
Das antizyklische Potenzial von Vollgeld in der Rezession (wie seit 2008) ist aus meiner Sicht eindeutiger: Schrumpft die Wirtschaft, kann die Zentralbank die Geldausgabe überproportional erhöhen und somit die staatliche Nachfrage stärken, was gegen die Rezession gegensteuert. Im heutigen Schuldgeldsystem geht das nicht, weil auch der billigste Kredit nicht aufgenommen wird, wenn die – öffentliche oder private - Nachfrage fehlt. („Die Geldpolitik ist wie ein Seil: Man kann daran ziehen, aber nicht stoßen.“) Im Boom kann die Geldversorgung zuückgefahren werden. Ganz nach dem Keynes-Muster in der Fiskalpolitik. Geld- und Fiskalpolitik könnten hier an einem Strang ziehen. In diesem Punkt überzeugt (mich) die Vollgeld-Reform.
c) Geld kommt schuld- und zinsfrei in Umlauf
Damit sind wir bei einem weiteren unumstrittenen Vorteil: Im Vollgeld-Regime kommt Geld als Geschenk der Zentralbank an die Allgemeinheit in Umlauf: als Gabe in die Staatskasse. Der Staat kann um diesen Betrag die Staatsausgaben erhöhen, Schulden tilgen oder Steuern senken. Systemisch ist mir das eindeutig sympathischer als dass dass das neues Geld zwingend mit Zins und Schuld belastet ist.
d) Unglaublicher Umstellungsgewinn
Im Zuge der Systemumstellung werden zunächst die Sichteinlagen auf Geldkonten ausgelagert, was die Passivseiten der Bankbilanzen verkürzt. Die Verbindlichkeiten gegenüber den SparkundInnen werden umgebucht in Verbindlichkeiten gegenüber der Zentralbank – so als wäre das Giralgeld/Bankengeld/Buchgeld ursprünglich von ihr gekommen und hätte nicht einfach von den Banken geschöpft werden können. Deshalb migriert der Inhalt der Geldkonten auch als Verbindlichkeit in die Zentralbankbilanz. Die (den Geldkonten) gegenüberstehenen Kreditforderungen auf den Aktivseiten der Geschäftsbanken werden im Zuge der Tilgung offener Kredite umgebucht in Forderungen gegen die Zentralbank, die mit den Verbindlichkeiten ihr gegenüber verrechnet werden können - es kommt zur Bilanzverkürzung bei den Geschäftsbanken. Zur Bilanzverlängerung hingegen kam es bei der Zentralbank: Die Verbindlichkeiten der Geschäftsbanken scheinen zunächst auf der Aktivseite auf, die ausgelagerten Geldkontobestände wie geschrieben auf der Passivseite – die Zentralbank steht für das Vollgeld in der Pflicht. Durch die Verrechnung = „Rückzahlung“ der Verbindlichkeiten der Geschäftsbanken, wird allerdings die Aktivposition in der Zentralbankbilanz „frei“. Die Vollgeld-Reformer schlagen vor, dem ausgegebenen Buchgeld auf der Passivseite einen Kredit an den Staat auf der Aktivseite der Zentralbankbilanz gegenüberzustellen, der nicht rückzahlbar ist. Denn die ausgegbene Vollgeldmenge ist kein Kredit, sondern ein Geschenk – wäre es von der Zentralbank geschöpft worden, an den Staat. Da die Giralgeldmenge in Österreich rund 80% der Staatsschulden ausmacht, könnte die Staatsschuld um diesen Anteil gesenkt werden, in Deutschland eine ähnliche Größe, in der Schweiz könnte die gesamte Staatsschuld getilgt werden.
In Zeiten, in denen die Diskussion um die Staatsschulden einen großen Platz in der politischen Diskussion einnimmt, ist es eigentlich unglaublich, dass ein Vorschlag, der die Reduktion der Staatsschulden um 80% oder sogar 100% bewirken würde, vollständig ignoriert wird. Bisher ist mir keine Widerlegung dieses Vorteils bekannt.
Soweit für heute,
Vollgeld-Reform und Bank für Gemeinwohl ahoi!
Christian